Regelbedarf mit Düsseldorfer Tabelle ermitteln

Das Wichtigste in Kürze

  1. Auf der zweiten Prüfungsebene im Prüfungsschema zum Kindesunterhalt ist festzustellen, wie hoch der Bedarf des Kindes an Geld ist (Barunterhalt).
  2. Hier ist wichtig, zu wissen, mit welcher Ermittlungsmethode im konkreten Fall die Bedarfsberechnung zu erfolgen hat, denn die Düsseldorfer Tabelle gilt nicht uneingeschränkt für jede Lebenssituation des Kindes:

    > Wegweiser zu den Bedarfsermittlungsmethoden



Düsseldorfer Tabelle
Anwendungsbereich

Die wichtigste Weichenstellung zur richtigen Bedarfsermittlungsmethode und damit zur Bestimmung des möglichen Geldbedarfs des Kindes ist die Frage, ob das Kind eine eigene oder abgeleitete Lebensstellung besitzt.

Nur bei abgeleiteter Lebensstellung kommt die Düsseldorfer Tabelle zur Anwendung. Diese Weichenstellung gilt völlig unabhängig davon, ob das Kind  minderjährig oder volljährig ist.


Düsseldorfer Tabelle
Aufbau | Struktur 

» Kalkulationsgrundlagen der Düsseldorfer Tabelle


Vier Altersstufen


Die Altersstufen werden von § 1612a Abs.1 S.3 BGB gesetzlich vorgegeben. Insgesamt unterscheidet die Düsseldorfer Tabelle vier Altersstufen. Hintergrund dieser Klassifizierung ist die Entwicklung der Kinder (Vorschulkind -> Schulkind -> Teenager > volljähriges Kind), die mit einem wachsenden Unterhaltsbedarf verbunden ist.

  • 1. Altersstufe: Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres (§ 1612a Abs.1 S.3 Ziff.1 BGB)
  • 2. Altersstufe: Kinder bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres (§ 1612a Abs.1 S.3 Ziff.2 BGB)
  • 3. Altersstufe: Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (§ 1612a Abs.1 S.3 Ziff.2 BGB)
  • 4. Altersstufe: Gilt für volljährige Kinder mit abgeleiteter Lebensstellung


Mindestunterhalt 2023 


Unterhaltszahlbetrag der Einkommensgruppe 1:
(Hinweis: Die Anrechnung des hälftigen Kindergeldes ist berücksichtigt)

312 €

erste Altersstufe (0 - 5 Jahre)

377 €

zweite Altersstufe (6 - 11 Jahre)

463 €

dritte Altersstufe (12 - 17 Jahre)

378 €

 ab 18 Jahren: Kindergeld wird in voller Höhe angerechnet


Die Tabelle zeigt den Zahlbetrag des Mindestunterhalts ab 2023. Der Tabellenbedarf entspricht der ersten Einkommensgruppe bis zu einem Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils von 1.900 € p.m. Bei höherem Einkommen steigen die Tabellensätze. Übersteigt das unterhaltsrelevante Einkommen nicht den Höchstwert der 1. Einkommensgruppe, ergibt sich für das Kind nur ein Tabellenwert, der betragsmäßig den Mindestbedarf des Kindes nach § 1612a BGB zum Ausdruck bringt. Um wenigstens den Mindestbedarf der Kinder zu decken, trifft die Eltern eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit, was zur Zurechnung von fiktiven Einkommen führen kann.

Fünfzehn Einkommensgruppen


OLG Hamm, Urteil vom 11.07.2012 - II-12 UF 319/11
Fortschreibung der Tabellenwerte nach der Prozentsatz-Methode bedeutet (Mindest-)Bedarfsdeckung auf höherem Niveau


(Zitat) "Dabei ist davon auszugehen, dass auch den Mindestunterhalt übersteigende Unterhaltsbeträge grundsätzlich keinen wesensverschiedenen Aufwand abdecken, sondern aufgrund der abgeleiteten Lebensstellung des Kindes auf eine Bedarfsdeckung auf höherem Niveau zielen (BGH FamRZ 2009, 962)."

Anmerkung: Die Tabellenwerte oberhalb der 1. Einkommensgruppe bringen in Form eines Einkommensrankings der Eltern den Bedarf des Kindes nach seiner abgeleiteten Lebensstellung zum Ausdruck. Seit dem Jahr 2022 wurde die Düsseldorfer Tabelle von 10. Einkommensgruppen auf 15. Einkommensgruppen erweitert. Die insgesamt 15 Einkommensgruppen basieren auf einer Erhöhung des Mindestbedarfs (§ 1612a BGB) nach steigenden Prozentsätzen. Seit dem 01.01.2009 ist der Mindestunterhalt die Bezugsgröße zur Anwendung der Prozentsätze (§1612a Abs.2 BGB) zur Errichtung dynamischer Unterhaltstitel. Davor war Bezugsgröße der sog. Regelbetrag. Somit sind dynamische Alttitel für die Zeit ab dem 01.01.2009 nach § 36 Nr.3 EGZPO umzurechnen. Nach diesem System bauen also alle Tabellenwerte stets auf den vier Mindestbedarfsätzen der jeweiligen Altersstufe des Kindes auf und schreiben diese Grundwerte nach der Prozentsatz-Methode für weitere Tabellenwerte fort. Damit wird klar, dass die Tabellenwerte nach Einkommensgruppe 2. bis 15 keine anderen Bedarfspositionen enthält als die vier Mindestbedarfssätze nach der 1. Einkommensgruppe. Die Werterhöhungen sind ausschließlich auf die Teilhabe des Kindes an der Einkommensentwicklung des unterhaltspflichtigen Elternteils zurückzuführen. Die Befriedigung gleichbleibender Bedarfspositionen erfolgt lediglich auf einem höheren finanziellen Niveau. Ergeben sich für das Kind zusätzliche Bedarfspositionen, die von den Tabellenwerten nicht erfasst sind, geht es um Mehr- oder Sonderbedarf:

BGH,  Beschluss vom 20.9.2023 – XII ZB 177/22 (OLG München) - NZFam 2024, 112
Elementar- und Mehrbedarf des Kindes bei überdurchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des Barunterhaltspflichtigen - Unterhalt oberhalb der 15. Einkommensgruppe


(Zitat) "Bei höherem Elterneinkommen muss sichergestellt bleiben, dass Kinder in einer ihrem Alter entsprechenden Weise an einer Lebensführung teilhaben, die der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern entspricht, so dass der Kindesunterhalt auch bei einem den höchsten Einkommensbetrag der Düsseldorfer Tabelle übersteigenden Elterneinkommen im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltsberechtigten für seinen Unterhaltsbedarf nicht faktisch auf den für die höchste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle geltenden Richtsatz festgeschrieben werden darf (Senat NZFam 2020, 1062 Rn. 19 mwN). Dies gilt auch für die im Hinblick auf den Senatsbeschluss vom 16.9.2020 (NZFam 2020, 1062 Rn. 28) fortgeschriebene Düsseldorfer Tabelle, die seit 1. Januar 2022 15 Einkommensgruppen und ein Einkommen bis 11.000 EUR umfasst (vgl. PWW/Soyka BGB 18. Aufl. § 1610 Rn. 29).

Eine allgemeingültige feste Obergrenze besteht für den Kindesunterhalt weiterhin nicht; vielmehr bleibt dem unterhaltsberechtigten Kind die Darlegung eines höheren Bedarfs unbenommen (vgl. Senat NZFam 2020, Rn. 22). Allerdings ist insbesondere beim Unterhalt minderjähriger Kinder zu beachten, dass dieser keine bloße Teilhabe am Luxus der Eltern beinhaltet und naturgemäß erst recht nicht zur Vermögensbildung des unterhaltsberechtigten Kindes dient. Schließlich ist das Maß des den Kindern zu gewährenden Unterhalts auch maßgeblich durch das „Kindsein“ geprägt, berechtigt also insbesondere nicht zu einer gleichen Teilhabe am Elterneinkommen (Senat NZFam 2020, Rn. 21 mwN) - relative Sättigungsgrenze.

Neben die Tabellenbeträge, die den Regelbedarf abdecken, kann nach der Rechtsprechung des Senats ein Mehrbedarf für solche Bedarfspositionen treten, welche ihrer Art nach nicht in den Tabellenbedarf und mithin auch nicht in die Steigerungsbeträge einkalkuliert sind. An diesem hat sich der betreuende Elternteil grundsätzlich zu beteiligen, weil insoweit eine Befreiung vom Barunterhalt nach § 1606 Absatz III 2 BGB nicht eingreift. Nach § 1606 Absatz III 1 BGB haften die Eltern hierbei nicht als Gesamtschuldner, sondern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (vgl. Senat NZFam 2022,  833 Rn. 43 mwN). Davon abzugrenzen ist ein erhöhter Bedarf für solche Positionen, die ihrer Art nach bereits in der Struktur der Düsseldorfer Tabelle enthalten sind, wie etwa ein erhöhter Wohnbedarf. Dieser ist kein Mehrbedarf im eigentlichen Sinne, sondern stellt einen erhöhten Regelbedarf dar, der – jedenfalls grundsätzlich – nach § 1606 Absatz III 2 BGB allein vom barunterhaltspflichtigen Elternteil zu tragen ist (Senat NZFam 2020, 1062 Rn. 24 mwN).


Einkommen der Eltern
Welches Einkommen ist für die Eingruppierung maßgebend?


BGH, Urteil vom 21.12. 2005 - XII ZR 126/03
Welches Elterneinkommen ist maßgebend?


(Zitat) "Wird das Kind von einem Elternteil versorgt und betreut (Naturalunterhalt) und leistet der andere Teil Barunterhalt, so bestimmt sich die Lebensstellung des Kindes grundsätzlich nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen Elternteils (Senatsurteil vom 6. Februar 2002 - XII ZR 20/00 - FamRZ 2002, 536, 537).

Achtung: Das obige BGH-Zitat, das man in der Rechtsprechung und Literatur immer wieder antrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 9.07.2014 – XII ZB 661/12 Rn 37; BGH, Beschluss vom 28.02.2007 –XII ZR 161/04 und BGH vom 9.07.2003 - XII ZR 83/00), wird vielfach dahingehend falsch verstanden, die Lebensstellung des Kindes würde ausgerechnet von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Elternteils ableitet, bei dem das Kind nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das ist nicht richtig. Lesen Sie die folgende Entscheidung:

BGH,  Beschluss vom 20.9.2023 – XII ZB 177/22 (OLG München) - NZFam 2024, 112
Gemeinsames Elterneinkommen - Betragsbegrenzung der Unterhaltspflicht 


(Zitat) "Nach § 1610  Absatz I BGB bemisst sich das Maß des zu gewährenden Unterhalts nach der Lebensstellung des Bedürftigen, die sich bei minderjährigen Kindern bis zum Abschluss ihrer Ausbildung von den Eltern ableitet. Dabei kommt es nach der Rechtsprechung des Senats beim Unterhalt minderjähriger Kinder auf die Lebensstellung beider Eltern an. Die Unterhaltspflicht ist aber auf den Betrag begrenzt, den der barunterhaltspflichtige Elternteil aufgrund des von ihm erzielten Einkommens zahlen muss. Es entspricht vom Senat gebilligter Praxis, sich bei der Bemessung des in diesem Sinne angemessenen Unterhalts an den von den Oberlandesgerichten entwickelten Tabellenwerken zu orientieren (Senat FamRZ 2001, 1604 mwN = NJWE-FER 2001, 253).

 

BGH, Beschluss vom 11.01.2017 - XII ZB 565/15
Ableitung der Lebensstellung von beiden Elternteilen - Einkommen des nicht betreuenden Elternteils als Bedarfsmaßstab | Begrenzung des Barunterhalts


(Zitat) "Dass sich die Lebensstellung des Kindes von beiden Eltern ableitet, gilt auch beim Residenzmodell. Denn auch ein im Residenzmodell betreutes Kind genießt, wenn der allein oder überwiegend betreuende Elternteil ebenfalls Einkommen erzielt, regelmäßig einen höheren Lebensstandard als bei einem alleinverdienenden Elternteil (vgl. Wendl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 2 Rn. 206 mwN). Zwar hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung wiederholt ausgesprochen, dass sich der Bedarf des minderjährigen Kindes vom barunterhaltspflichtigen Elternteil ableitet (Senatsbeschluss vom 9. Juli2014 -XII ZB 661/12 - FamRZ 2014, 1536 Rn.37; Senatsurteile vom 28. Februar 2007 - XII ZR 161/04 - FamRZ 2007, 707, 708f. und vom 9. Juli 2003 -XII ZR 83/00 - FamRZ 2003, 1471,1472f.). Dies steht aber vor dem Hintergrund, dass nur dieser Elternteil für den Barunterhalt aufzukommen hat. Da dessen Haftung aber ohne dies auf den sich aus seinem Einkommen ermittelten Tabellenbedarf begrenzt ist, stellt die Bemessung des Unterhalts der Sache nach eine abgekürzte Unterhaltsermittlung dar, indem der geschuldete Unterhalt sogleich nach der individuellen Leistungsfähigkeit des Barunterhaltspflichtigen festgesetzt wird."

Anmerkung: Der BGH hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass das Kind (minderjährig oder volljährig) immer seine Lebensstellung von beiden Elternteilen ableite (vgl. Wendl/Klinkhammer, Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 9. Aufl. § 2 Rn. 206 mwN). Minderjährige Kinder leiten ihren Unterhaltsbedarf von ihren Eltern ab, weil sie bis zum Abschluss einer Ausbildung regelmäßig noch keine eigene Lebensstellung erreicht haben (BGH, Urteil vom 15. Februar 2006 – XII ZR 4/04, Rn 9). Dabei wird die für den Unterhaltsbedarf relevante Lebensstellung grundsätzlich von beiden unterhaltspflichtigen Eltern abgeleitet (BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017 – XII ZB 201/16, Rn 113). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bestimmt sich demnach der Bedarf an Barunterhalt des Kindes immer nach dem Gesamteinkommen beider Elternteile.

Kritik zum Gesamteinkommen der Eltern: Diese Rechtsprechung des BGH bleibt nicht ohne Kritik. So hat sich das OLG Oldenburg, Beschluss vom 16.05.2023 - 3 UF 32/23 gegen die Auffassung des BGH und anderer Obergerichte gestellt und erklärt, der Bedarf minderjähriger Kinder sei nicht nach dem Gesamteinkommen der Eltern zu bestimmen.

Die Argumente des OLG Oldenburg sind für jeden eine sehr gute Begründungshilfe für Einwendungen gegen die Bedarfsermittlung nach zusammengerechnten Einkommen der Eltern beim Minderjährigenunterhalt. Insbesondere sei die Bemessung des Bedarfs für minderjährige Kinder nicht mit § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB in Einklang zu bringen, wonach der betreuende Elternteil im Regelfall seiner Unterhaltspflicht allein durch die Betreuung nachkommt (vgl. auch Schwamb, FamRB 2022, 342). In einer Anmerkung zur Entscheidung des OLG Oldenburg erklärt Christian Seiler, Vors. Richter am OLG München, seine vollumfängliche Zustimmung, in FamRZ 2023, 1374)

Fiktives Einkommen der Eltern: Anders als beim Ehegattenunterhalt wird beim Kindesunterhalt der Unterhaltsbedarf des Kindes nicht nur nach dem realen Gesamteinkommen sondern nach dem fiktiv erzielbaren Einkommen der Eltern bemessen.


Begrenzung der Barunterhaltspflicht: Eine Besonderheit für den Unterhaltsbedarf minderjähriger Kinder knüpft an § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB an, wonach der betreuende Elternteil seinen Teil der Unterhaltspflicht in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt (§ 1606 Abs.3 S.2 BGB). Weil dann der andere Elternteil allein barunterhaltspflichtig ist, ist seine Barunterhaltspflicht auf den allein von seinem Einkommen abgeleiteten Barunterhaltsbedarf begrenzt. Auf dem restlichen Barbedarf des Kindes nach den gemeinsamen Einkünften beider Eltern bleibt der betreuende Elternteil „sitzen“, während im Gegenzug der barunterhaltspflichtige Elternteil durch sein Umgangsrecht aber auch Aufgaben der Betreuung übernimmt (vgl. auch Wendl/Dose/Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 2 Rn. 113). Das Phänomen des "Sitzenbleibens" des kinderbetreuenden Elternteils auf einem Anteil nicht ausgeglichenen Barunterhalts für das Kind wird immer dann relevant, wenn der kinderbetreuende Elternteil ebenfalls Einkommen bezieht, die Barunterhaltspflicht aber nur nach Maßgabe des Einkommens des barunterhaltspflichtigen Elternteils geschuldet wird. Bei der Ermittlung des Ehegattenunterhalts kann der kinderbetreuende Ehegatte den nicht vom barunterhaltspflichtigen Elternteil ausgeglichenen Anteil des Barunterhalts für das Kind von seinem Einkommen in Abzug bringen.


Volljährige Kinder - Bedarfsermittlung mit Düsseldorfer Tabelle: Soweit ein volljähriges Kind noch im Haushalt eines Elternteils lebt und noch keine Ausbildung abgeschlossen hat, leitet es seine Lebensstellung allerdings weiterhin von den Eltern ab. Entsprechend ergibt sich der nach der Lebensstellung zu bemessende Unterhaltsbedarf aus der vierten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2007 – XII ZR 112/05). Wird der Unterhaltsbedarf volljähriger Kinder nach Düsseldorfer Tabelle ermittelt, ist immer das gemeinsame Elterneinkommen maßgebend. Beide Elternteile sind anteilig barunterhaltspflichtig. Weil der Betreuungsbedarf für ein volljähriges Kind nicht mehr entfällt, schulden beide Eltern nur noch Barunterhalt (BGH, Urteil vom 17. Januar 2007 – XII ZR 166/04, Rn. 10 und vom 26. Oktober 2005 – XII ZR 34/03, Rn. 13). Beide Elternteile haften anteilig für den Barunterhalt gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen.

Nur wenn ein Elternteil nicht leistungsfähig ist und es deswegen bei der alleinigen Haftung des anderen Elternteils verbleibt, bemisst sich der nach der abgeleiteten Lebensstellung ermittelte Unterhaltsbedarf des volljährigen Kindes nicht mehr nach dem Einkommen beider Eltern, sondern wird – wie regelmäßig beim Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder - begrenzt auf den Unterhaltsbetrag der sich Maßgabe des Einkommens nach dem Einkommen des allein barunterhaltspflichtigen Elternteils ermittelt. Diese Begrenzung führt dazu, dass jeder Elternteil maximal den Unterhaltsbetrag zu leisten hat, der sich allein nach seinem eigenen Einkommen errechnet (BGHZ 164, 375, 378 = FamRZ 2006, 99, 100 Rn. 13).


    Musterfall
    Regelbedarf des minderjährigen Kindes bei Kinderbetreuung nach Residenzmodell

    Sachverhalt


    Aus der Ehe von M und F ist ein Kind K (jetzt 8 Jahre alt) hervorgegangen. Die Eltern haben sich getrennt. Das minderjährige Kind lebt im Haushalt der F (Mutter), F hat kein eigenes Einkommen und kümmert sich um den Haushalt und die Kindererziehung. M erzielt ein > unterhaltsrelevantes Einkommen in Höhe von 2.500,- €. M will nun wissen, wie viel Kindesunterhalt (> Barunterhalt) er für K zu bezahlen hat. Die Düsseldorfer Tabelle ist anwendbar, weil das Kind > keine eigene Lebensstellung besitzt.

    Lösung
    mithilfe der Düsseldorfer Tabelle


    • Nach der > Düsseldorfer Tabelle ist M mit seinem Einkommen der 3. Einkommensgruppe zuzuordnen. K ist 8 Jahre alt. Danach gilt die 2. Altersstufe. Für diesen Fall weist die Düsseldorfer Tabelle einen Tabellenbedarf des Kindes in Höhe von 553 € (2023) pro Monat aus (Tabellenbetrag).
    • Bezieht F für das Kind K > Kindergeld (2023: 250 €/Monat) ist dieses zur Hälfte auf den Bedarf anzurechnen. Diese Anrechnung wird in der "Tabellen-Zahlbeträge" (Anhang zur DT) berücksichtigt. Für K ergibt sich danach ein Zahlbetrag in Höhe von 428 € (DT 2023) monatlich. Diesen Zahlbetrag hat M zu Händen der F für das Kind K an Barunterhalt monatlich zu leisten.


    Düsseldorfer Tabelle
    Richtlinie für den Regelfall |
    Abweichungen

    Hilfsmittel
    für den Regelfall


    Die Düsseldorfer Tabelle hat lediglich > Hilfscharakter und gibt keinesfalls für alle möglichen Fälle den korrekten Bedarf des Kindes nach § 1610 BGB wieder (> BGH, Urteil vom 18.4.2012), nimmt also keine Rücksicht auf individuelle besondere Lebensumstände des Kindes. Selbst in ihrem > Anwendungsbereich stößt die DT auf Grenzen. In der Praxis kommt es häufig vor, dass der Regelbedarf nach DT um > weitere Bedarfspositionen zu ergänzen ist. Die Tabellenwerte der DT sind nicht für alle individuellen Lebenslagen der Kinder mit abgeleiteter Lebensstellung geeignet, den > vollständigen Lebensbedarf (Bedarf an finanziellen Mitteln) korrekt anzugeben.
    > mehr


    Abweichungen

    vom Regelfall


    Die Tabellenwerte der Düsseldorfer Tabelle basieren auf einer Kalkulationsgrundlage, die sich aus § 6 RBEG ableitet. (> mehr). Entspricht der konkrete Fall nicht dem Regelfall der Kalkulationsgrundlage, sind Abweichungen von den Vorgaben angezeigt und zulässig.

    Abweichungen
    wegen Betreuungsmodell


    BGH, Beschluss vom 12.03.2014 - XII ZB 234/13
    Umgangskosten beim unechten Wechselmodell


    (Zitat, Rn 37 ) "Nimmt der barunterhaltspflichtige Elternteil ein weit über das übliche Maß hinaus gehendes Umgangsrecht wahr, dessen Ausgestaltung sich bereits einer Mitbetreuung annähert (> unechtes Wechselmodell), kann der Tatrichter bei der Ausübung seines Ermessens im Rahmen der Angemessenheitskontrolle die wirtschaftliche Belastung des Unterhaltspflichtigen insbesondere mit zusätzlichen Fahrtkosten und den Kosten für das Vorhalten von Wohnraum in rechtsbeschwerderechtlich unbedenklicher Weise zum Anlass dafür nehmen, den Barunterhaltsbedarf unter Herabstufung um eine oder mehrere > Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle zu bestimmen oder wie hier auf eine nach den maßgebenden unterhaltsrechtlichen Leitlinien ansonsten gebotene Hochstufung in eine höhere Einkommensgruppe zu verzichten."


    Abweichungen
    wegen mehrerer Unterhaltsberechtigter


    Die 40 Tabellenwerte der Düsseldorfer Tabelle weisen den monatlichen Unterhaltsbedarf aus, bezogen auf zwei Unterhaltsberechtigte, ohne Rücksicht auf den > Rang (§ 1609 BGB). Also werden auch nachrangige Unterhaltsgläubiger mitgezählt (BGH, FamRZ 2008, 2189). Bei einer größeren oder geringeren Anzahl Unterhaltsberechtigter können Ab- oder Zuschläge durch Einstufung in eine niedrigere/höhere > Einkommensgruppe angemessen sein. Anmerkung 6 der > Düsseldorfer Tabelle ist zu beachten. Zur Deckung des notwendigen Mindestbedarfs aller Beteiligten – einschließlich des Ehegatten – ist gegebenenfalls eine > Herabstufung bis in die unterste Tabellengruppe vorzunehmen. Reicht das verfügbare Einkommen auch dann nicht aus, setzt sich der Vorrang der Kinder im Sinne von Anm. 5 Abs. 1 der Düsseldorfer Tabelle durch. Gegebenenfalls erfolgt zwischen den erstrangigen Unterhaltsberechtigten eine > Mangelberechnung.

    Beispiel


    Es stehen für einen seit fünf Jahren verheirateten Vater Unterhaltsansprüche von insgesamt drei Kindern im Raum. Sein unterhaltsrelevantes Einkommen beträgt 3000,- €. Zwei Kinder (10 und 13 Jahre alt) sind aus der Ehe hervorgegangen. Ein Kind (1 Jahr alt) stammt aus einer Außenbeziehung. Der Vater schuldet neben dem > Kindesunterhalt für drei minderjährige Kinder grundsätzlich seiner Ehefrau > Familienunterhalt und der Mutter des unehelichen Kindes > Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB.

    Rangfolge
    mehrerer Unterhaltsberechtigter


    Nach § 1609 Ziff.1 BGB befinden sich die ehelichen Kinder und das uneheliche Kind gleichberechtigt auf > Rang 1 (§ 1609 Ziff.1 BGB). Auf Rang 2 (§ 1609 Ziff.2 BGB) befindet sich die Mutter des nichtehelichen Kindes. Die Ehefrau befindet sich auf Rang 3 (§ 1609 Ziff.3 BGB), weil sie zwar als Ehefrau, aber nicht wegen Kinderbetreuung als unterhaltsberechtigt gilt. Anders wäre der Fall zu beurteilen, bei Ehe von langer Dauer oder die Kinder der Ehefrau gelten als betreuungsbedürftig. Nach § 1570 BGB besteht eine (private) Betreuungsbedürftigkeit der Kinder durch ihre Eltern oder einen Elternteil > bis zum Abschluss des dritten Lebensjahres. Danach kann und soll die Kinderbetreuung durch öffentliche Einrichtungen übernommen werden (z.B. Kindergarten; Kinderhort: so die politische Idee des Unterhaltsrechts). Deshalb ist auch der > Unterhaltsanspruch der Mutter des unehelichen Kindes (§ 1615 l BGB) grundsätzlich zeitlich bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes begrenzt, wenn keine Verlängerungsgründe ersichtlich sind.

    Verschiebung
    der Einkommensgruppe


    Das unterhaltsrelevante Einkommen des Vaters ist der 5. Einkommensgruppe zuzuordnen. Dabei würde es bleiben, wenn der Vater nur zwei Unterhaltsansprüchen ausgesetzt wäre. Hier stehen aber insgesamt 5 Unterhaltsansprüche im Raum (3 x Kindesunterhalt, 1 x Familienunterhalt 1x Betreuungsunterhalt aus Anlass der Geburt). Da unabhängig vom Rang alle 5 Unterhaltsansprüche bei der Herabstufung zu beachten sind, wird eine Herabstufung um drei Einkommensgruppen (5 -2) erfolgen. Damit ist für den Bedarf der Kinder nicht die 5. sondern die 2. Einkommensgruppe einschlägig.

    Bedarfskontrollbetrag


    Der Bedarfskontrollbetrag des Unterhaltspflichtigen ab Einkommensgruppe 2 ist nicht identisch mit dem Eigenbedarf. Er soll eine ausgewogene Verteilung des Einkommens zwischen dem Unterhaltspflichtigen und den unterhaltsberechtigten Kindern gewährleisten. Wird er unter Berücksichtigung anderer Unterhaltspflichten unterschritten, ist der Tabellenbetrag der nächst niedrigeren Gruppe, deren Bedarfskontrollbetrag nicht unterschritten wird, anzusetzen.

    Zahlbetrag


    § > 1612 b BGB bestimmt ausdrücklich, dass > Kindergeld auf den Bedarf des Kindes angerechnet wird (> mehr). Die Tabellenbeträge der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigen die > Kindergeldanrechnung nicht. Erst im Anhang zur Düsseldorfer Tabelle befindet sich die sog. Tabelle Zahlbeträge. Diese gibt die um die Kindergeldanrechnung bereinigten Bedarfswerte (= Zahlbeträge) wieder.

    Grenzen
    der Düsseldorfer Tabelle


    Die Düsseldorfer Tabelle stößt an Ihre Grenzen, wenn der > barunterhaltspflichtige Elternteil > unterhaltsrelevantes Einkommen erzielt, das über dem Maximalwert der 15. > Einkommensgruppe liegt. Seit Entscheidung des BGH im Jahr 2020 (BGH, Beschluss vom 16.09.2020 - XII ZB 499/19) wurden die Werte der Düsseldorfer Tabelle 2021 bis zu einem Gesamteinkommen der Eltern in Höhe von 11.000 € fiktiv fortgeschrieben werden. Die Düsseldorfer Tabelle 2022 hat die Vorgaben des BGH umgesetzt.
    > mehr

    BGH, Urteil v. 6.02.2002 - XII ZR 20/00
    Zum Existenzminimum des Kindes

    Anmerkung: Beim Kindesunterhalt für minderjährige Kinder wird der Mindestbedarf nach Maßgabe des § > 1612a BGB als Tabellenbetrag nach der ersten Einkommensgruppe und differenziert nach vier Altersstufen zum Ausdruck gebracht. § 1612a BGB formuliert damit das > Existenzminimum der Kinder. Übersteigt das Einkommen des > barunterhaltspflichtigen Elternteils nicht den Höchstwert der 1. Einkommensgruppe, gilt als Mindestbedarf des Kindes dennoch der Tabellenwert der 1. Einkommensgruppe als angemessener Bedarf. Denn diese Tabellenwerte entsprechen dem Existenzminimum des Kindes. Und ein unter dem Existenzminimum liegender Bedarf kann niemals ein "angemessener" Bedarf sein (vgl. BGH vom 04.08.2010 - XII ZR 7/09).
    > mehr


    Links & Literatur



    Links



    In eigener Sache


    • Bedarfsermittlung mit Düsseldorfer Tabelle beim Volljährigenunterhalt mit nur einem leistungsfähigen Elternteil, unser Az.: 9/ 16 (D3/137- 16)
    • Bedarfsermittlung beim Kindesunterhalt nach dem Erwerbseinkommen der Eltern im öffentlichen Dienst (unterhaltsrelevante Teile der Besoldung), unser Az.: 93/ 16 (D3/725- 16)
    • Bedarfsermittlung zum Kindesunterhalt bei unterhaltspflichtigen Eltern ohne Einkommen, aber mit Vermögen, unser Az.: 456/ 13 (D3/719- 14)